Als der Geschichtsgrundkurs aus der EP von Herrn Marx das Thema „Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen“ im Unterricht durchnahm, stellte sich zu Beginn die Frage nach Beispielen aus der deutschen Geschichte. Schnell wurde klar, dass sich auch die DDR als Untersuchungsgegenstand anbietet und in diesem Rahmen die Einladung eines Zeitzeugens, welcher seine persönliche Erfahrungen mit der DDR schildern kann und die Verhältnisse in der DDR veranschaulicht, lohnenswert ist. Nach einem mehrstündigen Workshop in der Aktionswoche zusammen mit dem Geschichtskurs von Herrn Thomalla, erhielten wir einen ersten Überblick über die Thematik und bereiteten uns auf das Zeitzeugengespräch vor.
Am 11. Juni kamen dann im Rahmen der Arbeit der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.“ und gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur der Zeitzeuge Michael Schwerk und Dr. Frank Hoffmann von der Universität Bochum für ein 90-minütiges Zeitzeugengespräch. Dieses Angebot wird von vielen Schulen in Nordrhein-Westfalen genutzt und ist durch Förderung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur kostenfrei.
Michael Schwerk erzählte uns im Laufe des Gesprächs von seinem Leben in der DDR, von seiner Flucht nach Westdeutschland und auch davon, wie seiner Meinung nach in der DDR die Menschenrechte verletzt wurden. Er baute zudem kleine Anekdoten in das Gespräch ein, wie z.B. den Spottvers „Der Dämliche Rest“, eine Reaktion auf den Mauerbau und die Einsicht nun „in der Falle zu sitzen“. Somit wurde aus vermeintlich „trockenen“ Fakten eine spannende Geschichte, welche eine Vorstellung vom Leben in der damaligen Zeit ermöglichte. Schwerk erklärte uns außerdem, wie entscheidend die damalige politische Ausrichtung über die berufliche Zukunft war, sodass er selbst nach seinem Abitur nicht seinen Traumberuf in der Medizin wahrnehmen konnte und stattdessen eine Lehre als Betonfacharbeiter in Hoyerswerda absolvieren musste. Als diese abgeschlossen war, wurde er in das Militär einberufen, da man erst danach eine Chance auf einen Studienplatz bekam. Doch damit nicht genug, in propagandistischen Zeitungsartikeln wurde der „Zwangseinsatz“ in der Landwirtschaft während der Ernte schließlich noch als freiwilliges Helfen umgedeutet, für Schwerk Ausdruck der Absurdität der DDR und ein weiterer Grund für den Entschluss zur Flucht. Diese bot sich schließlich durch die Möglichkeit, mit der S-Bahn nach Berlin-Mitte und damit in unmittelbare Grenznähe fahren zu können. An einer Haltestelle, erklärte Schwerk, hielt die S-Bahn jedoch nicht, da diese mitten im Grenzgebiet lag, einziges Mittel zum Anhalten der Bahn war die Notbremse. Nach aufwendigen Planungen und Beobachtungen stand der Tag bevor, an dem er die Flucht begann, die S-Bahn abbremste und quer über die Gleisanlagen Richtung Westdeutschland rannte. Doch bereits beim Sprung aus der Bahn war klar, dass auch hier keine einfache Flucht möglich war. Durch die Auslösung eines Signaldrahts bei der Landung im Gleisbett war der Nachthimmel in wenigen Sekunden hell erleuchtet und der Abschuss einer roten Lichtpatrone machte ihm schließlich klar, dass gerade der Befehl zum Gebrauch der Schusswaffe gegeben wurde und die Flucht einfach gelingen musste. So rannte Schwerk weiter über die Gleisanlagen und fiel schließlich in einen unerwarteten 4,80m tiefen S-Bahnschacht. Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt, sodass er den Sturz überstand. Eingezwängt in dem Schacht suchte er nach einer Möglichkeit doch noch zu entkommen, bevor er entdeckt werden konnte. Eine alte verwitterte Steinmauer bot ihm die Möglichkeit, sich aus dem Schacht wieder aufs Gleisbett zu retten und schließlich auch die letzte Hürde – einen Maschendraht – zu überwinden und mit leichten Verletzungen in die Freiheit zu gelangen. Bereuen würde er seine Entscheidung zur Flucht nie.
Nach dieser dramatischen Erzählung durften wir Schüler während Dr. Frank Hoffmann das Gespräch moderierte und von den Erfahrungen mit dem Zeitzeugenprojekt in anderen Schulen erzählte noch Fragen stellen. Dabei war die wichtigste Frage für uns Schüler und Schülerinnen, ob Schwerks Familie durch seine Flucht hatte Konsequenzen tragen müssen. Dies erklärte Schwerk, habe er durch Geheimhaltung seiner Pläne jedoch verhindern können, sodass sie sehr wohl befragt wurde und es eine Hausdurchsuchung durch die Stasi gab, dies jedoch keine unangenehmen Folgen für Familie oder Freunde gehabt hätte.