Der Besuch von Frau Grünebaum, einer jüdischen Zeitzeugin, am Siegtal-Gymnasium.
Wenn ich bislang im Geschichtsunterricht gefragt worden bin, ob ich denn etwas mit dem Begriff „Reichskristallnacht“ oder „Auschwitz“ anfangen könnte, dann war ich eigentlich der Meinung ich wüsste doch zumindest das Wichtigste, wie die Tatsache, dass Auschwitz das größte Konzentrationslager war und so weiter- aber ich hatte ja keine Ahnung und wahrscheinlich habe ich sie immer noch nicht, und trotzdem ist der Besuch von Frau Grünebaum wohl einer der lehrreichsten Schultage in meinem ganzen Leben gewesen...
Zusammen mit einer Mitschülerin machte ich mich auf den Weg um Frau Grünebaum abzuholen und ich muss zugeben mir war ganz schön mulmig zumute, denn wie begrüßt man jemanden, der wohl das mit Abstand Abscheulichste und Menschenverachtendste miterlebt hat, was die Deutsche Geschichte je herv
Mit leiser Stimme und ganz ruhig erzählt sie von ihrem Martyrium. Aufgewachsen ist Frau Grünebaum in Rumänien und nachdem man ihrer Familie das eigens aufgebaute Restaurant enteignete und sie dort nur noch angestellt waren, wurden sie von den Menschen in ihrer Umgebung gemieden und wenig später kamen sie in ein Ghetto und wohnten mit 12 Personen in einem winzigen Raum. Anschließend wurde sie zusammen mit ihrer Mutter, ihren Schwestern, Neffen, sowie Nichten wurden sie in einen Viehwaggon gesperrt und nach Auschwitz gebracht. Nie zuvor hatte sie je davon gehört. Als sie dort ankamen mussten sich Männer und Frauen getrennt in zwei Reihen aufstellen, heute bekannt als die Rampe von Auschwitz. Frau Grünebaum nahm einen ihrer Neffen auf den Arm und trat vor den SS-Arzt Mengele. Dieser fragte sie, ob es ihr Kind sei und sie verneinte und gab das Kind ihrer Schwester. Hätte sie mit „Ja“ geantwortet, wäre sie, genauso wie ihre Schwestern, ihre Neffen, Nichten und ihre Mutter in den Gaskammern von der SS umgebracht worden.
Man würde ihr jegliche Wut, ja sogar Hass, darüber zugestehen. Sie aber trägt vor allem zwei Dinge in sich: unendliche Trauer und Kraft. Diese Trauer kann wohl keiner von uns nachvollziehen, aber zwei Dinge haben sich ganz besonders tief in meine Gedanken eingebrannt. Zum einen antwortete Frau Grünebaum auf die Frage, wie man denn solch ein Schicksal verarbeiten könne, dass man so etwas nicht verarbeiten kann. Kein Psychologe kann eine Mutter ersetzen und zum anderen sagte sie: „Laut lachen fällt mir schwer“. An dieser Stelle wird klar, wie ihre innere Trauer sich wie ein Schatten auf ihr ganzes Leben ausbreitet und das ist ein Satz, der einen traurig werden lässt und der so schwer auszuhalten ist, denn man selber hat diese Unbeschwertheit und die Tatsache, dass es völlig willkürlich diesen Menschen getroffen hat und nicht einen anderen, macht einen wütend.
Ihre Stärke bewies Frau Grünebaum vor allem auch nach Auschwitz. Nachdem Sie 6 Wochen in Auschwitz meist sitzend durchgestanden hatte, kam sie erst nach Gelsenkirchen um dort bombardierte Industrieanlagen aufzubauen und dann nach Essen zu Thyssen Krupp, um dort in der Produktion zu arbeiten. Dort erwartete sie ein harter Arbeitsalltag unter Aufsicht der SS. Täglich lief sie 3 Kilometer zur Arbeit um 12 Stunden durchzuarbeiten. Im Gegensatz zu den deutschen Arbeitern bekam sie lediglich eine Scheibe Brot, ein bisschen Wurst und Margarine. Zwei Angestellte der Firma Thyssen Krupp, die die Arbeitsprozesse überwachten, halfen ihr und einer weiteren jüdischen Arbeiterin. Sie gaben ihnen Essensreste, mal ein Stück Seife oder ein wenig Nähzeug um ihre Umhänge auszubessern. Dies war für sie eine wertvolle Hilfe, so dass trotz all ihrem Leid, dass ihr durch Menschen zugefügt wurde, sie betonte, dass man niemals verallgemeinern darf. Auch die Zwangsarbeit bei Thyssen-Krupp in Essen war nur eine ihrer zahlreichen Stationen. Bei Kriegsende fürchtete die SS, dass die Zwangsarbeiter gefunden würden und transportierten sie in die Konzentrationslager. Frau Grünebaum wurde nach Bergen-Belsen gebracht. In einfachen Baracken lebte sie mit anderen Mädchen. Sie wurden sich selbst überlassen, mussten im Lager die anfallenden Arbeiten verrichten , hungerten und wurden krank. Auch Frau Grünebaum wurde zuletzt sehr krank, so dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Viele überlebten diese Torturen nicht.
„Ihr Kinderchen seid befreit“ hieß es von einem englischen Soldaten am 15. April 1945. Zu diesem Zeitpunkt wog Frau Grünebaum nur noch 25 kg im Alter von 20 Jahren. Sie war zusätzlich geschwächt von Typhus. 4 Monate lag sie im Krankenhaus und musste wieder lernen zu gehen. Durch einen Suchdienst fand eine Schwester aus Rumänien Frau Grünebaum. Es brauchte 2 lange Jahre um Frau Grünebaum wieder einigermaßen aufzupäppeln. Obwohl sie sich in Sicherheit befand, schlich sie sich nachts in die Küche und holte Brot, welches sie dann unter ihrer Bettdecke versteckte und auch heute noch muss immer genug Brot im Haus sein.
Lange Zeit konnten die Betroffenen, wie Frau Grünebaum nicht von ihren furchtbaren Erlebnissen berichten. Erst jetzt, sieht sie es als ihre Pflicht an, ihr Wissen weiterzugeben, um derart unmenschliches Verhalten nie wieder zu zulassen. Durch ihren Besuch werden auch wir ein „Zeitzeuge“ und fühlen uns verpflichtet, das Erzählte an andere weiterzugeben.
Nein, wir sind nicht schuld, aber wir sind dafür verantwortlich solche Dinge in Zukunft zu verhindern.